"... Dissonanzen geht er nicht aus dem Wege.  Alles aber, was er anfasst, klingt. ...” 
Buersche Zeitung

Nichts ist so gegenwärtig wie extemporierte Musik.
So verzweifelt der Improvisateur den Musenkuss erwartet, auf den er angewiesen ist, so ehrlich ist er davon überrascht. Von der Verführung zu einer Musik, für die es keinen Fingersatz gibt. Auf die er nicht vorbereitet ist - nicht sein darf. Deren darbietende Mittel gleich mit erfunden werden müssen, jetzt!
Spontan komponierte Musik entsteht aus der Gegenwart des Geistes.
Wie sich für das, was wir auf dem Herzen habe, Worte finden. Es sei denn, die gelangweilten Mienen der Gesprächspartner lassen erkennen, dass sie es (längst) besser wissen... Sich jetzt! etwas einfallen lassen, was uns beiden neu ist, vorbereitet sein auf das Unvorbereitbare: das ist Extempore.

Dazu habe ich mir Erik Saties Musik zu eigen gemacht. Ich habe aus der gebundenen, anverwandelnden Improvisation Hellhörigkeiten gewonnen, offene Fenster und Türen entdeckt. Ich habe Saties Musik nach dem Gesetz durchsucht, nach dem sie angetreten. Ich habe täglich - sozusagen - ihr Horoskop gedeutet. Was wäre noch "drin" gewesen an Entwicklungsmöglichkeiten ihrer Idee?
Den Weg hat er selbst gewiesen. Mit seinen "Verkehrten Tänzen" komponiert er drei mal das gleiche Stück: die über die Zeiten hinweg gültige Formulierung eines Gedankens gibt es nach seinem Verständnis wohl nicht. Nach meinem übrigens auch nicht.

Die (Hör-) Erwartung, ein Werk habe genau so zu erklingen, wie es dasteht, ist mir seit jeher eine Herausforderung. Denn mich interessieren die Entwicklungsmöglichkeiten einer kompositorischen Idee, nicht nur ihre Wiedergabe.
Ich mag mich nicht abfinden mit einer Tongestalt, die schon fertig ist, sondern will mich vom Augenblick der Aufführung inspirieren lassen, in diesem Raum, an diesem Flügel, vor und mit diesen Menschen. Das führt zu spontanen Varianten und unerwarteten Hörerlebnissen. Die  Komposition entsteht  jetzt, in diesem Moment, als sei sie extemporierte Musik. Selbst wenn es sich um gar nichts anderes als um den gedruckten Notentext handelt.

Meinen Hörern und Lesern möchte ich dafür das Wort „historische Aufführungspraxis“ an die Hand geben: es war einmal gewünscht und üblich, dass Pianisten Werke nicht bloß exekutierten, sondern extemporierte Varianten hinzuerfanden, also gebundene Improvisation zu Gehör brachten. 
Bedingt durch die Reproduzierbarkeit von Musik und der Wiederkehr des stets genau Gleichen, sind Zeitgenossen allerdings eher gewöhnt, Tempofragen oder Anschlagstechnik zu diskutieren. Meine Programmkompositionen möchte ich verstanden wissen als einen Schritt auf dem Weg zum Konzert als unwiederholbarem Ereignis, bei dem es strenggenommen gar kein Publikum gibt: an extemporierter Musik wirken alle Anwesenden mit.


ImproviSatie (Erik Satie und Extempores)

Aus Vieux Sequins et Vieilles Cuirasses / Alte Zechinen und Harnische:
Crépuscule matinal (de midi) / Morgendämmerung (zur Mittagszeit)
5ème Gnossienne
Aus: Pièces froides / Frostige Stücke:
Danses de travers / Verkehrte Tänze Nr. 1
1ère Gnossienne
Aus Véritables Prélude Flasques (pour un chien) / Wahrhaft schlaffe Präludien (für einen Hund):
1. Sévère réprimande / Strenger Verweis
2. Seul à la maison / Allein zu Haus
Danses de travers, Nr. 2
Aus Descriptions automatiques / Automatische Beschreibungen:
1. Sur une lanterne / Von einer Laterne
4ème Gnossienne
Danses de travers, Nr. 3
1ère Gymnopédie
Aus: Vieux Sequins et Vieilles Cuirasses / Alte Zechinen und Harnische:
Nr. 2, Danse cuirassée (Période greque) / Geharnischter Tanz (Griechische Periode)

Alternativ:

ImproviSatie - Play Schumann

(Erik Satie - Robert Schumann - Extempores)

Aus: Vieux Sequins et Vieilles Cuirasses / Alte Zechinen und Harnische (1913):
Crépuscule matinal (de midi) / Morgendämmerung (zur Mittagszeit)
5ème Gnossienne (1893):

Aus: Kinderszenen op. 15 (1838):
1.Von fremden Ländern und Menschen
2. Kuriose Geschichte
3. Hasche-Mann
4. Bittendes Kind

Aus: Pièces froides / Frostige Stücke: (1897)
Danses de travers / Verkehrte Tänze Nr. 1
1ère Gnossienne
Aus Véritables Prélude Flasques (pour un chien) / Wahrhaft schlaffe Präludien (für einen Hund) (1913):
1. Sévère réprimande / Strenger Verweis

5. Glückes genug

2. Seul à la maison
/ Allein zu Haus

6. Wichtige Begebenheit    
7. Träumerei
8. Am Kamin

Danses de travers, Nr. 2
4ème Gnossienne
Aus: Descriptions automatiques / Automatische Beschreibungen (1913):
1: Sur une lanterne / Von einer Laterne

9. Ritter vom Steckenpferd
10. Fast zu ernst
11. Fürchtenmachen
12. Kind im Einschlummern

Danses de travers,
Nr. 3
1ère Gymnopédie (1888)
Aus: Vieux Sequins et Vieilles Cuirasses / Alte Zechinen und Harnische:
Nr. 2, Danse cuirassée (Période greque) / Geharnischter Tanz (Griechische Periode)  13. Der Dichter spricht

Erik Satie und Robert Schumann stehen mir nahe. Naheliegend daher auch der Gedanke, beider Kompositionen in einem Programm zu kombinieren. Beiden eignet ein epischer, "minimalistischer" Zug, die Treue zur Idee, die, einmal vorgebracht, ein ganzes Stück lang gelten darf.

Über die wiedergebende Interpretation der Werke Robert Schumanns und Erik Saties hinaus nehme ich ihre Musik zum Vorbild und als Anregung zum Nachklang, zu einer Art intentionalen Lauschens. Wieder verfolge ich meine Idee des schöpferischen Umgangs mit geschriebenem Notentext. Ich lade ein in mein tägliches Erlebnis der tönenden Welt, aus der ein Werk entsteht und in die es eingeht.

Vorbereitend habe ich Schumanns und Saties Musik nach dem Gesetz durchsucht, nach dem sie angetreten. Ich habe täglich neu - sozusagen - ihr Horoskop gedeutet.  Was wäre noch alles "drin" gewesen an Entwicklungsmöglichkeiten ihrer Idee? 

So hat die forschende Aneignung der Musik beider Komponisten gleichsam Zinsen erbracht, die ich teilen will.

Improvisation ist das Mauerblümchen zumindest des "klassischen" Konzertbetriebes.
Seltsam. Denn alle Musik ist, bevor sie komponiert wurde, zunächst als Improvisation erklungen. Die Musik der Zukunft braucht Improvisation – sonst entsteht sie nicht. 

 

 

 




 
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